Offener Brief von Survival International an den Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt

Standbild aus einem Video, das gewaltsame Vertreibungen der Massai von ihrem angestammten Land zeigt, 2022 


Sehr geehrter Dr. Christof Schenck, 

Survival International, die globale Bewegung für indigene Völker, ist äußerst besorgt über die Situation von Massai-Indigenen in Loliondo, Tansania. Es gibt Berichte über Festnahmen, Schläge und Schüsse auf Protestierende. Wie Sie wissen, ist die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) in diesem Gebiet eine wichtige Akteurin im Naturschutz und eine enge Partnerin der tansanischen Nationalparkbehörde (TANAPA).

Wir begrüßen die jüngste Verurteilung der Gewalt und Einschüchterung in Loliondo durch die ZGF. Soweit wir wissen, ist dies das erste Mal, dass die ZGF öffentlich Gewalt gegen Massai in der Region anprangert. Und das trotz jahrzehntelanger Landkonflikte im Zusammenhang mit „Naturschutz“, einschließlich einer gewaltsamen Vertreibung im Jahr 2017, an der von der ZGF unterstützte Serengeti-Park-Ranger beteiligt waren.

Wir sind jedoch der Meinung, dass die Erklärung der ZGF schwerwiegende Mängel aufweist und die eigene Verantwortung für den Konflikt nicht anerkennt. In der Tat fördert die Erklärung weiterhin die Art von kolonialem und rassistischem Naturschutz, der zu Konflikten wie dem in Loliondo führt.

Die ZGF spielt eine wichtige Rolle im tansanischen Naturschutz und ist seit ihrer Gründung im Jahr 1958 im Serengeti-Nationalpark (SENAPA) und den umliegenden Gebieten tätig. In den letzten Jahren hat sich die ZGF verstärkt in den Gebieten um den SENAPA, einschließlich Loliondo, engagiert, um Schutzmaßnahmen auch auf Gemeinde-Land zu fördern. Daher hätte die ZGF wissen müssen, dass sich die Massai gegen die illegalen Versuche der Regierung und tansanischer Naturschutzbehörden wehren, Teile ihres rechtmäßig registrierten Landes in Loliondo und anderswo zu beschlagnahmen. 

In ihrer Erklärung leugnet die ZGF jedoch die Landrechte der Massai und beschönigt die Versuche der tansanischen Regierung, Massai-Dörfer zu beseitigen, indem sie behauptet, der Status des Gebiets sei in den letzten zwei Jahrzehnten „ungeklärt“ gewesen. Die Landbesitz- und Gewohnheitsrechte der Massai in Loliondo lassen sich über Generationen zurückverfolgen und wurden sowohl während der Kolonialzeit als auch nach der Unabhängigkeit nie durch ein Gesetz außer Kraft gesetzt. Alle Dörfer in Loliondo sind rechtmäßig registriert und haben von den tansanischen Behörden Landzertifikate erhalten.

Noch beunruhigender ist, dass die ZGF es versäumt, die Verantwortung für ihre jahrzehntelange Beteiligung an der Vertreibung und Kriminalisierung von Massai-Gemeinschaften zu übernehmen und dafür, dass die Massai wie „Hindernisse für den Naturschutz“ behandelt werden. In seinem populären Film „Serenegti darf nicht sterben“ erklärte der langjährige ZGF-Direktor Bernhard Grzimek beispielsweise: „[D]iese Massai mit ihren Herden sind überhaupt der Grund, warum wir fliegen lernen mussten, warum wir so weit von Frankfurt bis über den Äquator geflogen sind ... Wegen der Massai soll der Nationalpark um ein gutes Drittel verkleinert werden ... Ein Nationalpark ist ein Stück Wildnis und soll es bleiben wie in Urzeiten. Menschen, auch eingeborene Menschen, sollen darin nicht leben.” 

Unter Grzimek beteiligte sich die Zoologische Gesellschaft Frankfurt zudem an „Umsiedlungsprogrammen“ in Tansania. In den 60ern stellte sie finanzielle Mittel für mindestens einen Experten (Village Settlement Officer) für die Umsiedlung von Dörfern zur Verfügung, der die Einsatzkräfte der tansanischen Regierung und des Serengeti-Nationalparks koordinierte, um Personen zu vertreiben und ihre Häuser zu zerstören.

Die ZGF hat sich nie offiziell bei den Massai für diese Ungerechtigkeit oder für die Förderung dieser Art von Naturschutz entschuldigt. Im Gegenteil: Die ZGF befürwortet nach wie vor das rassistische und koloniale Festungsmodell des Naturschutzes, wie der „Natur ohne uns, für uns“-Ansatz der ZGF in der Serengeti zeigt. Die ZGF beschreibt die lokale Bevölkerung nach wie vor als eine der Hauptbedrohungen für das Überleben des Ökosystems und fördert damit den Mythos der „Wildnis“, der den Maasai-Vertreibungen von Anfang an zugrunde lag. Nicht zuletzt bleibt die ZGF eine wichtige Förderin und Befürworterin von Wildtiertourismus in der Region. Dieser stellt eine große Bedrohung für die Massai und ihr Recht dar, auf ihrem Land zu leben, es zu verwalten und zu kontrollieren. Dieses ist sowohl in der tansanischen Verfassung als auch im internationalen Recht verankert.

Ein Maasai-Ältester, der als Kind aus der Serengeti vertrieben wurde, sagte kürzlich zu Survival: „Von allen Feinden der Welt ist die Zoologische Gesellschaft Frankfurt der Feind Nummer eins der Massai. Denn sie ist für die Vertreibungen der Massai verantwortlich, seit wir die Serengeti verlassen haben. Sie kamen mit ihren Ideen und ihrem Geld. Auch in Ngorongoro, und jetzt in diesem 1500 km2 großen Gebiet. Seit ich die Serengeti verlassen habe, habe ich viele wichtige Dinge verloren. Ich habe die Serengeti verloren – die Ebenen, so ein gutes Land zum Weiden – die ich so liebte.“
 
Survival bittet Sie daher: 

1. Verurteilen Sie die andauernde Gewalt und Verfolgung der Maasai in Loliondo und fordern Sie ein Ende der Gewalt – auch gegen diejenigen, die Bilder und Videos der Gewalt verbreitet haben.

2. Fordern Sie die Freilassung derjenigen die unrechtmäßig inhaftiert wurden. 

3. Fordern Sie, dass alle illegal aufgestellten Grenzmarkierungen entfernt werden.

4. Fordern Sie, dass die Verantwortlichen für die grundlose Gewalt gegen die Maasai vor Gericht gestellt werden, darunter auch von der ZGF unterstützte Serengeti-Parkranger und Mitarbeiter*innen der Naturschutzbehörde, soweit diese beteiligt waren.

5. Erkennen Sie die Beteiligung der ZGF am Modell des Festungsnaturschutzes und an Vertreibungen an und beenden sie diese in Tansania und anderswo.  

6. Erkennen sie das gewalttätige und ungerechte Erbe von Bernhard Grzimek und der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt an und entschuldigen Sie sich bei den Massai. 
 

Mit freundlichen Grüßen

Fiona Watson
Amtierende Direktorin
Survival International
 

 

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