Ich bin Veganerin und Tierliebhaberin – aber ich sehe Naturschutz kritisch

© Lambert Coleman

Alice, Oktober 2018

Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der großartige Tiere wie Tiger und Elefanten ausgerottet werden. Ich denke, wir sollten kämpfen, um sie zu beschützen. Als Tierliebhaberin, Veganerin und jemand, dem die Umwelt am Herzen liegt, würde man vermuten, dass ich Naturschutz vorbehaltlos unterstütze.

Aber auch Menschen liegen mir am Herzen. Meiner Meinung nach sollten Naturschutz und Menschenrechte Hand in Hand gehen. Schließlich sind auch Menschen Teil der Natur, nicht getrennt davon oder ihr überlegen. Nachhaltig und ethisch zu leben macht die Welt besser, sowohl für Menschen, als auch für die Tiere, mit denen wir sie teilen. Das ist mit Sicherheit eine Win-win-Situation.

Trotzdem werden im Namen des Naturschutzes jede Menge Menschenrechtsverletzungen begangen. Im Gegensatz zu der weit akzeptierten, westlichen Annahme, dass Naturschutz edel, friedlich und fortschrittlich sei, wird er von den Menschen vor Ort als repressiv, elitär und rassistisch empfunden.

2016 wurde ein junges Mädchen vom Baka-Volk in Kamerun von Wildhütern gefoltert. 2017 wurde ein 17-jähriger Junge beim Sammeln von Heilpflanzen in einem Schutzgebiet der Demokratischen Republik Kongo erschossen. Anwohner*innen sagen immer wieder, dass der Nationalpark, in dem der Junge und sein Vater beschossen wurden, ohne deutsche Steuergelder nicht existieren würde. Buschleute aus dem Central Kalahari Game Reserve wurden beschossen, verhaftet und geschlagen, weil sie Antilopen gejagt hatten, um ihre Familien zu versorgen. Alles, damit westliche Reisende „unberührte“ Nationalparks sehen können (oder ihr eigenes Wild schießen können).

Maßnahmen wie „Shoot to kill“ [Schießen, um zu töten] sollen angeblich auf böse Wilderer abzielen, die gefährdete Tierarten bedrohen. Obwohl ich nicht dazu neige Wilderer zu verteidigen, sollten wir nicht vergessen, dass eine Richtlinie, die das Leben eines Elefanten über das eines Wilderers stellt, in der westlichen Welt undenkbar wäre. Man stelle sich vor, dass jemand, der im Verdacht steht einen Braunbären getötet zu haben, auf der Stelle erschossen würde von staatlich finanzierten Wildhütern. Es gäbe einen öffentlichen Aufschrei. Aber diese Regel scheint für Schutzgebiete in Afrika nicht zu gelten.

Wenn wir einen Schuldigen für den starken Rückgang von Wildtieren finden wollen, müssen wir nicht sehr weit blicken. Die Jagd in der Kolonialzeit ist zum Großteil verantwortlich für den aktuellen Zustand der Tiger- und Elefantenpopulationen. Indigene Völker sind mit Sicherheit nicht zu beschuldigen: Sie jagen seit Jahrtausenden, um ihre Familien zu ernähren, während sie einen gesunden Bestand an Tierpopulationen erhalten haben, auf welche die schießwütigen Jagdgesellschaften der Kolonialzeit trafen. Nichtsdestotrotz sind sie diejenigen, die leiden. Indigene Völker, die auf ihr Land angewiesen sind und ein Recht darauf haben, werden beschuldigt Wilderer zu sein, wenn sie für ihren Lebensunterhalt jagen, während die Trophäenjagd gefördert wird. Ihr Land wird gestohlen, um Nationalparks zu gründen und sie werden angegriffen, wenn sie versuchen in ihr Zuhause zurückzukehren.

Soliga-Jungen spielen auf einer Lichtung im Rangaswamy Temple Schutzgebiet © Shrenik Sadalgi/Survival


Studien zeigen, dass die Gebiete mit der größten biologischen Vielfalt auf diesem Planeten das Zuhause von indigenen Völkern sind. Sie sind nicht diejenigen, die für die schwindende Anzahl an Tigern und Elefanten verantwortlich sind. Tatsächlich ist der Bestand an Tigern im ersten Reservat in Indien, in dem die lokale Bevölkerung ihr Recht zu bleiben durchsetzen konnte, stärker als im nationalen Durchschnitt gestiegen. Der Schutz von Tierarten ist heute viel komplizierter und grausamer als er sein müsste. Die Antwort ist in meinen Augen einfach: Schützt indigenes Land, schützt die Umwelt.

Ich war schockiert, als ich hörte, dass sich große Naturschutzvereine mit Holzunternehmen zusammentun (außer das Fällen von Bäumen wurde plötzlich zum umweltfreundlichen Unterfangen, ohne mein Wissen). Ich war ebenfalls schockiert, als ich erfahren habe, dass der WWF unter bestimmten Umständen Trophäenjagd als effektive Artenschutzmaßnahme ansieht. Ich war jedoch am meisten schockiert, als ich hörte, dass viele große Naturschutzorganisationen, so wie der WWF, Wildhüter finanzieren, die auf Indigene schießen, wenn diese „unbefugt“ Schutzgebiete betreten, die für Jahrtausende ihr Zuhause gewesen waren. Große Naturschutzorganisationen tun sich mir Industrie und Tourismus zusammen und zerstören dabei die besten Verbündeten der Umwelt.

Ich werde den Schutz von bedrohten Tierarten immer unterstützen, sowie fast jede*r, den ich kenne. Aber ich kann nicht tatenlos zusehen, wenn unschuldige Menschen von ihrem Zuhause vertrieben, gefoltert und sogar getötet werden, alles im Namen des Artenschutzes. Ich mache mir Sorgen, wenn Naturschützer*innen mehr Waffen für Wildhüter fordern, die zu einem Anstieg jener Grausamkeiten führen, die im Namen des Naturschutzes begangen werden.

Menschen zu verhaften, die sich Jahrtausende sorgsam um ihre Umwelt gekümmert und sie erhalten haben, ist nicht nur grausam und illegal, sondern auch schädlich für den Naturschutz. Indigene Völker waren Experten im Naturschutz lange bevor der Begriff überhaupt existierte. Es ist bewiesen, dass sie sich besser um ihre Umwelt sorgen als irgendwer sonst. Sie sind die besten Hüter der Artenvielfalt und Wächter der Natur. Sie sollten an vorderster Front der Naturschutzbewegung stehen.

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