So reagieren die indigenen Völker Asiens auf die Bedrohung durch das Coronavirus

Ein Foto, das Leela Sophie schickte, als er auf einen Baum kletterte, um ein Telefonsignal zu bekommen. © Leela © Leela

von Sophie Grig

 

Eine Nachricht aus den Tiefen eines indischen Waldes erscheint auf meinem Telefon: „Mir geht es gut! Ich bin jetzt im Wald! Ich bin auf einen Baum geklettert, um Empfang zu bekommen!“ Sie stammt von Leela, einem Mitglied des indischen Chenchu-Volkes, der mir mitteilt, dass es ihm und seiner Gemeinschaft gut geht. Sie haben beschlossen sich in ihrem Wald zu isolieren, um sich vor Covid-19 zu schützen.

Ich arbeite mit lokalen Gemeinden und indigenen Völkern in ganz Asien zusammen. Ich kämpfe für ihr Recht auf ihr angestammtes Land und gegen die Naturschutzorganisationen, die Industrie und die Regierungen, die es ihnen wegnehmen. Während sich Covid-19 in vielen ihrer Gebiete ausbreitet, mache ich mir Sorgen um Freund*innen und Kontakte in abgelegenen Gegenden und frage mich, wie sie mit der Situation zurechtkommen. Es ist daher eine große Erleichterung, wenn Menschen wie Leela eine Nachricht schicken.

In den Nachrichten wird viel über die Gefahren von Covid-19 für indigene Völker in Südamerika berichtet, insbesondere für unkontaktierte Völker in Brasilien. Über die Situation der indigenen und lokalen Völker in Asien wurde jedoch nicht viel geschrieben.

Indigene und lokale Gemeinden sind in einzigartiger Weise in der Lage, sich gegen das Virus zu isolieren und sich somit vor ihm zu schützen – und gleichzeitig in einzigartiger Weise anfällig für das Virus. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Ergebnissen liegt, wie so oft, in der Frage, wem das Land gehört. Indigene Völker, die die Kontrolle über ihr Land haben oder die noch auf ihrem angestammten Land leben, sind in der Lage, sich abzuschotten und sich selbst zu versorgen. Rubi, ein Meratusian Dayak aus Südkalimantan in Indonesien, sagte: „Wir haben reichlich Nahrung, die uns unser Wald liefert. Wir können bis zum nächsten Jahr überleben“. Leela, dessen angestammter Wald im indischen Bundesstaat Telangana in ein Tigerreservat umgewandelt wurde, lachte und antwortet: „Natürlich!", als ich fragte, ob sie genug Nahrung hätten, um einen längeren Lockdown zu überstehen.

Für indigene Völker, die ihr Land verloren haben oder vertrieben wurden, offenbart das Coronavirus jedoch alles, was sie verloren haben. Menschen wie die zahllosen Orang Rimba in Sumatra, Indonesien, deren Wälder in Palmölplantagen umgewandelt wurden; die Jenu-Kuruba-Familien aus Indien, die von ihrem Land vertrieben wurden, um Platz für Tigerreservate zu schaffen; oder die Penan aus dem malaysischen Borneo, die in trostlosen Umsiedlungsgebieten leben, nachdem ihr Land überflutet wurde, um Platz für Dämme zu schaffen.

Selora mit seinem Sohn Rapa. Ihr Wald wurde zerstört und in eine Palmölplantage umgewandelt. © Survival © Survival

Eingepfercht in minderwertigen Behausungen; der Wälder beraubt, die sie seit Jahrtausenden geschützt und bewirtschaftet haben; ohne Land, auf dem sie Nahrungsmittel sammeln oder anbauen können; sind die indigenen Völker, denen ihr Land gestohlen wurde, oft die marginalisiertesten Menschen der Gesellschaft. Im Gegensatz zu ihren sich selbst versorgenden Verwandten in den Wäldern sind sie oft gezwungen, als Tagelöhner in Minen oder auf Plantagen zu arbeiten, Arbeitsplätze, die während des Lockdowns verschwunden sind.


Die Jenu Kuruba, die im Namen des Naturschutzes aus dem Nagarhole-Nationalpark vertrieben wurden, haben Survival berichtet, dass ihr Leben vor der Vertreibung im Wald wirklich gut war, sie aber jetzt im Umsiedlungslager ein „miserables Leben“ unter „schrecklichen Bedingungen“ führen, „gespickt mit Problemen und Schwierigkeiten“. Der Kontrast zwischen der Überlebensfähigkeit im Wald und in den trostlosen Umsiedlungsgebieten ist enorm.

© Survival

Die gleichen zwei Pole, von „am besten“ bis „am schlechtesten überlebensfähig“, können bei unkontaktierten und kürzlich kontaktierten Völkern beobachtet werden. Wenn ihr Land geschützt ist, befinden sich unkontaktierte Völker wie die Sentinelesen auf den indischen Andamanen bereits in einem Zustand Selbstisolierung – der einzige Weg ihre gewünschte Lebensweise ausüben zu können. Sie tun dies auch um ihr Land vor Eindringlingen zu schützen, die Krankheiten einschleppen könnten, gegen die sie keine Abwehrkräfte besitzen.


Umgekehrt haben Indigene, die erst vor kurzem kontaktiert wurden, bereits Krankheiten wie Grippe und Masern ertragen müssen, gegen die sie nicht resistent waren. Das ist eine Situation mit der sich auch wir in der westlichen Gesellschaft derzeit identifizieren können. Die Jarawa von den indischen Andamanen-Inseln, die erst seit Ende der 1990er Jahre freundschaftlichen Kontakt mit Siedler*innen haben, die neben ihrem Gebiet leben, hatten bereits mit zwei Masernepidemien zu kämpfen, bei denen weit über ein Drittel der Bevölkerung infiziert wurde. Die Komplikationen der Krankheit führten bei vielen Jarawa zu Atemwegsproblemen, einschließlich Lungenentzündungen, was sie möglicherweise noch anfälliger macht, sollten sie sich mit Covid-19 infizieren.


Obwohl man sich bemüht hat, den Kontakt zwischen den Jarawa und Außenstehenden einzuschränken – indem man den Verkehr auf der Straße, die durch ihr Gebiet führt, auf das Notwendigste beschränkt und die Jarawa ermutigt hat, tief im Wald zu bleiben – ist ihre Zukunft ungewiss.


Anderswo in Asien und im Pazifik gibt es eine Reihe von zahlenmäßig kleinen und isolierten Völkern, die stark gefährdet sind. Die „Indigenous Peoples Alliance of the Archipelago“ (AMAN) listet sieben indigene Völker in Indonesien auf, die ihrer Meinung nach von der endgültigen Auslöschung bedroht sind, auch ohne Covid-19. In West-Papua und in den indonesischen Regionen Nord-Maluku und Gorontalo gibt es Gemeinschaften, die wenig oder gar keinen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft haben und von der globalen Gesundheitskrise nichts mitbekommen werden. Anders als die Sentinelesen, die auf ihrer eigenen Insel leben, haben diese Völker Nachbar*innen und Eindringlinge, die die Krankheit einschleppen könnten.

Die Sentinelese stehen an einem Inselstrand Wache. © Christian Caron – Creative Commons A-NC-SA

Obwohl alle indigenen Gemeinschaften über ihre eigenen Methoden und Mittel zur Behandlung bekannter Krankheiten verfügen, sind sie oft besonders schlecht durch das öffentlichen Gesundheitssystem versorgt. Aufgrund von unterfinanzierten Krankenhäusern, personell unterbesetzt und von abgelegenen Gebieten aus schwer erreichbar, haben indigene Völker in ganz Asien nur selten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Gesundheitsversorgung, was sie angesichts einer globalen Pandemie besonders anfällig macht. Der Verlust von Land und des Zugangs zu den Ressourcen, auf die sie seit Generationen angewiesen sind, führt auch zu schlechter Ernährung und Unterernährung, wodurch die indigenen Völker stärker durch das Virus gefährdet sind.

In West-Papua beispielsweise, wo Landraub und politische Unterdrückung seit Jahrzehnten an der Tagesordnung sind, ist die HIV-Infektionsrate unter den Papuas 15-mal so hoch wie im indonesischen Durchschnitt, und sie haben Schwierigkeiten, die notwendige Behandlung zu erhalten. Dieser Gesundheitszustand macht viele von ihnen anfällig für Komplikationen durch Covid-19, da es Berichten zufolge 2020 in West-Papua nur 7 Lungenspezialisten und etwa 60 Beatmungsgeräte für eine Bevölkerung von knapp über 4 Millionen Menschen gibt.

In ganz Asien verhängen indigene Gemeinschaften ihre eigenen Lockdowns, indem sie niemanden mehr in ihre Dörfer hinein- oder hinauslassen, um sich selbst zu schützen, oft bevor die Regierungen solche Anordnungen erlassen haben. Für einige ist dies eine neue Entwicklung, aber eine, für die sie dank ihres unvergleichlichen Wissens über ihre Wälder und ihre Umgebung bestens gerüstet sind.


Auch wir können viel von den Indigenen lernen. Die Orang Rimba, die im Bukit Duabelas Nationalpark auf Sumatra leben, nutzen ihre traditionelle Quarantänemethode des "Besesandingon", um sich zu schützen. Nach diesen Regeln, die jetzt wieder angewandt werden, dürfen die Orang Rimba oder andere Personen, die von außerhalb kommen, nicht direkt mit den Bewohner*innen des Waldes in Kontakt kommen, bis sie eine Quarantänezeit abgesessen haben. Sie müssen sich von der Gruppe, die sie besuchen wollen, isolieren (indem sie in sicherer Entfernung provisorische Häuser bauen), bis genügend Zeit verstrichen ist, um sicher zu sein.

 

Nande kocht Wildschwein im Wald. © Survival

Indigene Völker sind Expert*innen über ihre Umwelt und verfügen über ein unglaubliches Wissen über die Pflanzen- und Tierwelt, in der sie leben. Diejenigen, die noch auf ihrem angestammten Land leben und Zugang zu ihren Ressourcen haben, sind die am besten vorbereiteten Völker der Erde, um sich selbst zu isolieren und ein autarkes und nachhaltiges Leben zu führen. Für diejenigen unter uns, die um Nudeln oder Klopapier kämpfen, ist dies ein Maß an Unabhängigkeit und Freiheit, von dem wir nur träumen können. Aber diejenigen, deren Land gestohlen wurde, um Platz für Plantagen oder Industrie zu schaffen, oder die im Namen des Naturschutzes vertrieben und in überfüllte Umsiedlungslager gesteckt wurden, gehören zu den am stärksten gefährdeten Menschen auf der Welt, die mit Covid-19 konfrontiert sind.


Der riesige Unterschied zwischen indigenen Völkern, die ihr Land besitzen, und denen, denen es durch diese globale Pandemie genommen wurde, sollte ein Weckruf für die Zukunft sein. Wenn die Welt das Virus hinter sich gelassen hat, werden viele Menschen nach neuen Wegen suchen - und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Anerkennung der Landrechte der Indigenen, die Achtung des indigenen Wissens und die Tatsache, dass indigene und lokale Völker, die besten Hüter der natürlichen Welt sind und an der Spitze der Umweltbewegung stehen sollten, wären ein sehr guter Anfang.

Teilen