Brasilien: „Ein großer, historischer Sieg“ für indigene Völker – Oberster Gerichtshof lehnt Stichtag-Trick ab

21 September 2023

Weltweit gab es Dutzende von Protesten gegen den „Stichtag-Trick“. Oben: Ein Protest vor der brasilianischen Botschaft in London am ersten Verhandlungstag. © Sue Cunningham/Survival

Die Gegner indigener Rechte in Brasilien haben eine große Niederlage erlitten, nachdem der Oberste Gerichtshof eine Rechtsinterpretation abgelehnt hat, die Hunderte von indigenen Territorien bedroht hätte.

Der Vorschlag wurde von der mächtigen Agrarindustrie des Landes vorangetrieben und zielte darauf ab, den Diebstahl riesiger Gebiete von indigenem Land zu ermöglichen.

Der so genannte Stichtag-Trick besagt, dass die indigenen Völker Brasiliens, die nicht nachweisen können, dass sie am 5. Oktober 1988 (dem Datum des Inkrafttretens der aktuellen Verfassung) auf ihrem Land gelebt haben, kein Recht auf die Demarkierung (offizielle Ausweisung und Schutz) dieses Landes haben.

Hätte das Gericht dem Vorschlag zugestimmt, hätten Hunderttausende von Indigenen mit dem Verlust ihres Landes rechnen müssen, und Dutzende von unkontaktierten Völkern hätten ausgelöscht werden können.

Einer der Richter, die gegen den „Stichtag-Trick“ stimmten, Richter Edson Fachin, sagte in seinem Urteil: „Wie aus dem Text der Verfassung hervorgeht, werden die ursprünglichen territorialen Rechte der [indigenen Völker] anerkannt, aber wie dem auch sei – sie sind auf jeden Fall älter als die Verkündung der Verfassung.“

Die Guarani-Organisation Aty Guasu reagierte erfreut auf das Urteil: „Für uns ist es ein wichtiger Moment des Kampfes und des Feierns. Wir sind hier und weinen vor Freude. Heute werden wir das Lied des Lebens singen und den Tanz der Freude tanzen. Der Oberste Gerichtshof hat gezeigt, dass ihm unser Leben am Herzen liegt und dass er gegen Völkermord eintritt. Er hat auf den Schrei der indigenen Völker Brasiliens gehört. Jetzt setzen wir unseren Kampf für die Demarkierung unseres Landes fort, fest und stark wie eh und je.”

Die nationale Indigenen-Organisation APIB verkündete die Nachricht mit: „Sieg! Die indigenen Völker haben den Stichtag-Trick besiegt! Wir bleiben standhaft! Rechte lassen sich nicht wegverhandeln.“

Indigenous protest in Brazil. © Tukumã Pataxó/Midia Indígena

Die indigene Bewegung und ihre Verbündeten, darunter Survival, setzen sich seit Jahren für die Beseitigung des Stichtag-Tricks ein. Während der sechs Jahre, die der Oberste Gerichtshof brauchte, um den Fall zu entscheiden, gab es in Brasilien aber auch in anderen Ländern massive Proteste gegen den Vorstoß und gegen den Gesetzesentwurf PL490 (jetzt PL2903), der eine Reihe von indigenenfeindlichen Maßnahmen enthält, darunter auch den Stichtag-Trick.

Woie Kriri Patte vom Volk der Xokleng, um deren Landrechte es in dem Verfahren ging, sagte während seines Kampfes gegen den Stichtag-Trick: „Es ist eine Waffe, die uns an den Kopf gehalten wird... Der Stichtag-Trick ist völkermörderisch und ungerecht und wir werden ihn nicht akzeptieren.“

Fiona Watson, Direktorin für Forschung und Advocacy von Survival International, sagte heute: „Dies ist ein bedeutender, historischer Sieg für Brasiliens indigene Völker und eine massive Niederlage für die Agrarlobby. Der Stichtag-Trick war ein Versuch, den Diebstahl von Millionen von Hektar indigenen Landes zu legalisieren. Dies hätte katastrophale Auswirkungen auf indigene Völker im ganzen Land gehabt, darunter die unkontaktierten Kawahiva und Zehntausende von Guarani im Süden Brasiliens.“

„All dies war Teil eines verheerenden Angriffs auf die indigenen Völker Brasiliens und den Amazonas-Regenwald, so dass die Ablehnung der Rechtsauslegung nicht nur für die indigenen Völker, sondern auch für den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel von großer Bedeutung ist.“

Fiona Watson, Sarah Shenker und Priscilla Schwarzenholz von Survival Brasilien stehen für Interviews zur Verfügung.

 Hinweise an die Redaktion:

Alle Richter*innen haben nun abgestimmt. Eine Mehrheit sprach sich gegen den Stichtag-Trick aus, so dass der Vorschlag abgelehnt wurde. Der endgültige Wortlaut der Entscheidung steht noch aus.

 

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