Fragen und Antworten: Unkontaktierte Völker

Häuser eines unkontaktierten Volkes, Brasilien © G. Miranda/FUNAI/Survival

Survival beantwortet einige häufig gestellte Fragen über unkontaktierte Völker

Was sind „unentdeckte“ oder „verlorene“ Völker?

Diese Begriffe werden häufig von Sensationslustigen benutzt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es heute noch Völker gibt deren Existenz gänzlich unbekannt ist.

Was versteht man unter „unkontaktiert“?

Indigene Völker, die den Kontakt mit Außenstehenden meiden. Weltweit gibt es mehr als 100 unkontaktierte Völker.

Bedeutet das, dass die Menschen überhaupt keinen Kontakt zur Außenwelt haben?

Nein. Jeder Mensch hat Nachbar*innen, auch wenn diese manchmal sehr weit entfernt leben. Aber man kennt sich doch. Wenn die Nachbar*innen selbst ein indigenes (unkontaktiertes) Volk sind, stehen sie vielleicht sogar in friedlichem Kontakt.

Waren sie früher einmal kontaktiert?

In einigen Fällen wahrscheinlich ja. Manche hatten in der Vergangenheit wahrscheinlich Kontakt zu Siedlern und haben sich vor der Gewalt zurückgezogen die sie dabei erfahren haben. Einige haben sich vielleicht auch von einer größeren Gruppe abgespalten um Kontakt zu vermeiden. Manche, die heute Sammler sind, haben in der Vergangenheit vielleicht einmal einen Garten gehabt und davon gelebt. Sie könnten mit dem Anbau aufgehört haben, da sie vor den Siedlern fliehen mussten.

Also leben sie nicht mehr unbedingt genauso wie in der Vergangenheit?

Nein, das tut niemand. Viele unkontaktierte Völker beispielsweise benutzen seit Jahren oder Generationen Waffen aus Metall, die sie gefunden, gestohlen oder mit ihren Nachbarn getauscht haben. Unkontaktierte Völker auf den Andamanen Inseln beispielsweise benutzen Metallteile von Schiffswracks. Die Süßkartoffel, die eigentlich aus Südamerika kam, war Grundnahrungsmittel einiger polynesischer Völker lange bevor diese Kontakt mit Europäern hatten.

Gibt es überhaupt noch reine, ursprüngliche Gesellschaften?

Alle Gruppen ändern sich ständig und haben dies auch schon immer getan, auch unkontaktierte Völker. Survival sieht keine Kultur und kein Volk als „rein“ oder „ursprünglich“ an. Auch unkontaktierte Völker sind weder rückständig noch aus der Steinzeit. Sie leben einfach nur anders.

Wie lange haben die Menschen bereits an einem Ort gelebt?

Normalerweise leben diese Gruppen bereits seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden auf ihrem Land. Einige ziehen darauf auch als Nomaden umher.

Manche behaupten, Berichte über unkontaktierte Völker sind gestellt.

Einige „erste Kontakte“ mit vermeintlich unkontaktierten Völkern sind in der Tat für touristische Zwecke gestellt, aber es gibt auch viele „reale“ unkontaktierte Völker. Sie leben zum Teil ganz in der Nähe von kontaktierten Menschen.

Was denkt Survival darüber, diese Menschen aufzusuchen?

Niemand sollte Völker aufsuchen, die nicht regelmäßig Kontakt mit Außenstehenden haben. Es ist gefährlich für beide Seiten. Survival veröffentlicht deswegen nur die ungefähren Standorte der Gruppen und auch nur dann, wenn es unbedingt nötig ist um ihr Land zu schützen.

Brasilien hat einige Expeditionen mit dem Ziel geleitet den „ersten Kontakt“ herzustellen. Was denkt Survival darüber?

Die Leute die solche Expeditionen geleitet haben, haben es im Nachhinein bereut. Sie haben geglaubt der Kontakt wäre wichtig für den Schutz der Indigenen. Dies hat im Endeffekt jedoch nichts gebracht und die Völker wurden an Ende trotzdem zerstört. Heute weiß man, dass unkontaktierte Menschen in Ruhe gelassen werden müssen und es Bemühungen braucht, ihr Land zu schützen, damit sie überleben, vorankommen und leben können, wie sie wollen.

Ist ein Flug über das Land eines unkontaktierten Volkes nicht auch ein Kontakt?

Ein Flug über das Land ist manchmal wichtig um herauszufinden, ob sie weiter gezogen sind oder ob jemand in das Land eingedrungen ist. Es kann wichtig sein, Aufmerksamkeit auf ihre Existenz zu lenken und diese zu beweisen. Unter solchen Umständen kann man es rechtfertigen über das Land zu fliegen, nicht jedoch für touristische Zwecke.

Verändert das Sichten von Flugzeugen nicht auch das Weltbild der Gruppen?

Es ist wahrscheinlich, dass die unkontaktierten Gruppen bereits früher Flugzeuge gesehen haben. Die Idee, dass dadurch ihr Weltbild oder ihr spiritueller Glaube zerstört wird, entspricht dem Glauben an den „zurückgebliebenen Wilden“, dessen Kultur zerbrechlich ist. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Völker sehr robust sind und sich an neue Dinge von Außen gewöhnen – viele von ihnen tun das schon immer. Indigene Völker sind nicht durch Gegenstände von Außen bedroht, sondern durch Gewalt und Krankheiten und das Eindringen in ihr Land.

Wie reagieren die Menschen auf Flugzeuge?

Sie verstecken sich oder zeigen sich feindselig. Sie machen deutlich, dass sie allein gelassen werden möchten.

Könnte es nicht auch sein, dass diese Menschen von „unserem“ Lebensstil profitieren würden? Wenn sie nur davon wüssten, würden sie nicht auch so wie wir leben wollen?

Sie würden nicht die Chance dazu bekommen. Die Zukunft, die ihnen die Hauptgesellschaft in Wirklichkeit bietet, ist eine „Mitgliedschaft“ auf der untersten Stufe – oft als Bettler oder Prostituierte. Die Geschichte zeigt, dass die Mitglieder indigener Völker am Ende viel schlechter dastehen als vorher, manchmal sogar mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Warum sind unkontaktierte Völker bedroht?

Außenstehende wollen an das Land oder die Ressourcen der unkontaktierten Völker gelangen, um Straßen und Dämme zu bauen, Siedlungen und Minen zu errichten und so weiter. Der Kontakt ist normalerweise gewaltsam und feindselig, doch die größte Bedrohung sind Krankheiten wie Grippe, Masern, etc. Die Menschen haben dagegen keine Abwehrkräfte entwickelt, weswegen sich sonst harmlose Krankheiten für sie als fatal erweisen können.

Was brauchen unkontaktierte Völker?

Das wichtigste ist, dass ihr Land geschützt wird.

Es ist doch klar, dass die Menschen nicht für immer unkontaktiert bleiben können.

Falls die Alternative ihre Ausrottung ist, warum nicht? Wer sollte darüber entscheiden, sie oder wir? Falls sie sich dazu entscheiden den Kontakt zu uns zu suchen, werden sie einen Weg finden. Wenn wir der Meinung sind, dass es sich um Menschen handelt, besitzen sie auch Menschenrechte. Das Problem ist, dass viele Leute noch immer denken, dass es sich um primitive Menschen handelt die nicht für sich selbst entscheiden können.

Warum ist es so wichtig, dass sie das Recht auf Überleben haben?

Obwohl sie nur eine kleine Anzahl darstellen, sind sie die verletzlichsten Menschen der Erde. Wenn wir Menschenrechte für wichtig erklären, sollten wir ein besonderes Augenmerk auf die Schwächsten legen. Darüber hinaus besitzen indigene Völker ein Wissen über die Welt, das einzigartig ist. Sie wissen Dinge über Pflanzen, Tiere, Umwelt und Heilmedizin, von denen wir noch nie gehört haben. Jede ihrer Sichten auf das Leben ist einzigartig. Und nicht zuletzt tragen sie zur Diversität der Welt und der Menschheit bei. Wenn Vielfalt in vielen Lebensbereichen wichtig ist, ist dies doch einer der wichtigsten Bereiche überhaupt.

Ist solch eine Denkweise nicht weltfremd und romantisch?

Diese Denkweise betont nur das Recht selbst entscheiden zu können und nicht von einer anderen Gesellschaft unterworfen zu werden. Niemand denkt, dass es „romantisch“ ist, sich dem Kolonialismus, Sklaverei oder Apartheid zu widersetzen.

Warum verwendet ihr den Begriff „Unkontaktiert“?

Unkontaktierte Völker als solche zu bezeichnen, ist verkürzt und wie andere Fremdzuschreibungen auch mindestens problematisch. Besonders die Auswirkungen von Landraub oder früherer Gewalt und Kolonisierung finden sich in dem Begriff nicht wieder. Wir versuchen dies „auszugleichen“, indem wir sehr deutlich auf diesen Zusammenhang und aktuelle Gewalt und Landraub hinweisen. Bei alternativen Begriffen, die für diese Gruppen geläufig sind, wie „in freiwilliger Isolation lebende“ indigene Völker sehen wir diese Probleme allerdings auch.


Wenn der Begriff so problematisch ist, warum nutzen wir ihn dann überhaupt?

Weil es wichtig ist, deutlich zu machen, dass „unkontaktierte Völker“ sich eindeutig von anderen indigenen Völker unterscheiden. Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft ist für sie oft durch Krankheitsübertragung tödlich, was für andere indigene Völker mit regelmäßigem Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft weniger problematisch ist. Wenn wir auf Bedrohungen hinweisen, ist diese Unterscheidung wichtig, weil sich daraus auch spezielle Rechte ableiten. Zum Beispiel ist das Verbot von Zwangskontakt in der „American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ und auch in mehreren nationalen Gesetzen für diese Gruppen festgehalten. Für unkontaktierte Völker ist dieses Verbot von Zwangskontakt lebenswichtig, aber würde für andere indigene Völker vermutlich seltsam und paternalistisch anmuten. Daher brauchen wir diese Unterscheidung. Das gilt auch für andere Fälle: Zum Beispiel treten wir für das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) ein. Indigene Völker müssen zustimmen, bevor irgendjemand Projekte durchführt, die sie betreffen. Aber für unkonkatierte Völker könnten wir das nicht genauso fordern, denn Zustimmung würde ja Kontakt voraussetzen. Und dieser wäre fatal.

 

 

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