Survival und Indigene kritisieren Jared Diamonds neues Buch 'Vermächtnis'

7 Februar 2013

Benny Wenda, ein indigener Anführer aus West-Papua, sagt, dass Jared Diamonds Aussagen über indigene Völker Papuas irreführend sind. © freewestpapua.org / Survival

Diese Seite wurde 2013 erstellt und enthält möglicherweise Formulierungen, die wir heute nicht mehr verwenden würden.

In einer vernichtenden Kritik attackiert die Menschenrechtsorganisation Survival International, die sich weltweit für die Rechte indigener Völker einsetzt, das kürzlich erschienene Buch des Pulitzer-Preisträgers Jared Diamond. In den USA und in Großbritannien hat das Buch bereits eine heftige Kontroverse ausgelöst. Survival warnt, dass die Thesen, die Diamond in Vermächtnis: Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können aufstellt, “gefährlicher Unsinn” sind, die den Kampf indigener Völker um die Achtung ihrer Rechte um Jahrzehnte zurückwerfen könnten.

In dem ausführlichen Artikel ‘Ein “Selbsthilfe-Handbuch” für “moderne” Menschen’, der bei Welt Online veröffentlicht wurde, widerlegt Survivals Direktor Stephen Corry zwei von Diamonds Hauptaussagen: dass heutige indigene Völker uns als Modell dafür dienen können, wie wir alle noch bis vor ein paar tausend Jahren gelebt haben, und dass indigene Gesellschaften gewalttätiger sind als industrialisierte Gesellschaften.

Auch Anführer aus West-Papua kritisieren Diamonds Buch und fordern von ihm eine Entschuldigung für seine Beschreibung indigener Völker Papuas.

Die Idee, dass die Lebensweise der heutigen indigenen Völker identisch mit derer unserer Vorfahren ist, wurde immer wieder heftig von Wissenschaftlern kritisiert. Wie alle Gesellschaften müssen auch indigene Völker sich ständig verändern und sich ihrer Umgebung anpassen, um zu überleben. Sie leben nicht in der Vergangenheit, sondern im “Hier und Jetzt” und sind genauso Teil des 21. Jahrhunderts und “modern” wie jede andere Gesellschaft.

Diamond behauptet in seinem neuen Buch weiter, indigene Völker seien deutlich gewalttätiger und aggressiver als industrialisierte Gesellschaften und die meisten Kleingesellschaften seien “in einem Kreislauf von Gewalt und Krieg gefangen”.

Als Schlussfolgerung befürwortet Diamond die Einführung von Nationalstaaten und behauptet, dass indigene Völker “den größten Vorteil einer Staatsregierung zu schätzen wussten: Sie brachte ihnen Frieden”.

Corry weist die These, dass indigene Völker gewalttätiger als industrialisierte Gesellschaften sind als “gefährlichen Unsinn” zurück, der an die koloniale Idee anknüpft, indigene Bevölkerungen müssten “befriedet” werden.

Jared Diamonds Buch wird kritisiert, weil es indigene Völker als kriegerisch und “rückständig” darstellt. © Survival International

Corry weist darauf hin, dass die Quellen und Daten, auf die sich Diamond bei seiner Argumentation stützt, äußerst fragwürdig sind: Er bezieht sich fast ausschließlich auf die Arbeiten von wenigen Anthropologen, wie dem weitgehend diskreditierten Naopleon Chagnon. Weiters argumentiert Stephen Corry, dass Nationalstaaten indigene Völker nicht retten, sondern sie unterdrücken und vernichten. Obwohl der Großteil von Diamonds Forschungsergebnissen aus seinen Aufenthalten in Neuguinea stammen, erwähnt er mit keinem Wort, dass die indonesische Invasion und Besetzung West-Papuas durch die indonesische Regierung für mehr als 100.000 getötete indigene Papua verantwortlich sind.

Während Diamond nicht so weit geht und indigene Völker als “primitiv” oder “Wilde” bezeichnet, findet man diese Begriffe in den Eindrücken vieler Buchbesprechungen. Der Stern titelte “Wilde” in riesigen Lettern und weder die britische Sunday Times noch das amerikanische Wall Street Journal scheuten sich davor, die Indigenen als “primitive” Völker abzustempeln.

Benny Wenda, ein Papua-Anführer, sagte zu Survival: “Was er [Jared Diamond] über mein Volk geschrieben hat, ist irreführend (…) Er erwähnt nicht, was die indonesische Armee tut (…) Ich habe gesehen, wie meine Mitmenschen von indonesischen Soldaten ermordet wurden und wie meine Tante vor meinen Augen vergewaltigt wurde. Die indonesische Regierung hat der Welt gesagt, dass dies ein ‘indigener Krieg’ ist. Sie hat versucht so zu tun, als ob wir die Gewalttätigen wären, nicht sie. Dieses Buch tut dasselbe. Er sollte sich entschuldigen.”

Dominikus Surabut, wegen Verrats im Gefängnis, weil er West-Papua friedlich für unabhängig erklärt hatte, sagte: “Genau dies ist die Eigenschaft und der Charakter kolonialer Besetzungen indigener Völker, die demgemäß wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Ihre Unterdrückung wird dadurch gerechtfertigt, dass sie als rückständig, archaisch und kriegerisch geschildert werden – genau wie es Jared Diamond in seinem Buch über indigene Völker behauptet.”

Stephen Corry schreibt: “Der Hauptfaktor, der zur Vernichtung indigener Völker führt, sind Nationalstaaten. Die Einführung staatlicher Regierungen rettet keine Völker, sondern bringt sie um. Wenn Diamonds Thesen weitläufig akzeptiert werden, dann riskieren wir, dass die Rechte indigener Völker um Jahrzehnte zurückgeworfen werden. Sollen die gleichen Fehler von gestern wieder geschehen? Ich hoffe nicht!”

Hinweis an die Redaktion:

Napoleon Chagnon behauptet in seinem Werk Yanomamö: The Fierce People, das Volk der Yanomami wäre “von Natur aus aggressiv” und würde “ständig Krieg führen”. Dies wurde weitgehend widerlegt.

Lesen Sie eine längere Version der Äußerungen von Papua-Angehörigen zu Jared Diamonds Buch (in Englisch)

Hören Sie ein Interview von Stephen Corry auf WBEZ Chicago (in Englisch)

Yanomami
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