Bernhard Grzimek: Ein Feind der Maasai

Die Rolle von Bernhard Grzimek im Dritten Reich ist inzwischen teilweise bekannt. Doch sein dunkles Vermächtnis im Naturschutz bleibt ein blinder Fleck. Das Foto zeigt Unterlagen seiner Personalakte aus dem Reichsernährungsministerium. © Survival International

Bernhard Grzimek ist den meisten Deutschen durch seine TV-Sendungen und Tierfilme, allen voran „Serengeti darf nicht sterben“ und „Ein Platz für Tiere“, und sein Engagement für den Naturschutz in Ost-Afrika bekannt - und ans Herz gewachsen.

Bei den Maasai in der Serengeti sieht dieses Bild jedoch ganz anders aus. Für sie ist Grzimeks Naturschutzorganisation Zoologische Gesellschaft Frankfurt der „Feind Nummer Eins der Maasai“. 

Grzimek war Anhänger einer sehr alten, längst überholten Schule des Naturschutzes („Festungsnaturschutz“.), die ihre Wurzeln in rassistischen Ideen hat. Diese alte Schule ist auch heute noch federführend bei der Einrichtung und Verwaltung von „Schutzgebieten“ und fördert Naturschutzprojekte, die für Landraub und Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern verantwortlich sind. Dabei sind indigene Völker erwiesenermaßen die besten Naturschützer.

Wir brauchen einen Naturschutz, der indigene Völker und ihre Rechte in den Mittelpunkt stellt, statt in Personen wie Bernhard Grzimek ein Vorbild sieht. Es wäre ein Schlag ins Gesicht für die Tausenden Maasai und ihre Familien, die die Serengeti für die Einrichung eines Schutzgebietes verlassen mussten und denen heute weitere Vertreibungen drohen. Und es würde die Natur nicht retten.

Willst du mehr zu Bernhard Grzimek erfahren? Hier sind einige Dinge, die du vielleicht noch nicht über Deutschlands bekanntesten Naturschützer wusstest:

ZGF vs. Massai


Nationalsozialismus

  • Bernhard Grzimek war seit 1937 Mitglied der NSDAP, stritt dies aber Zeit seines Lebens auch unter Eid ab. Die Mitgliedschaft ist inzwischen zweifelsfrei belegt.
  • Von Juli 1933 bis Mai 1935 war Grzimek vermutlich Mitglied der SA. Angaben darüber finden sich in seiner Personalakte des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

  • Karriere als Staatsdiener in Hitler-Deutschland: Im Februar 1933 begann Grzimek seine Karriere in öffentlichen Stellen. Im Januar 1938 trat er in das NS-Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein. Bereits im August 1938 wurde er zum Referatsleiter befördert. Wiederum ein Jahr später wurde er mit Ausnahmegenehmigung zum Regierungsrat berufen, obwohl er noch nicht das vorgeschriebene Mindestalter erreicht hatte. Im Oktober 1944 wurde er auf Lebenszeit verbeamtet.

  • Grzimek bewegte sich immer wieder im Umfeld bekannter NS-Persönlichkeiten. So berichtete er selbst von einem Treffen mit Martin Bormann – nach Hitler der wohl mächtigste Mann in Nazi-Deutschland – oder einem Besuch auf dem Obersalzberg, um Hitlers Hühner zu begutachten.

  • Für den Film Tiefland – „ein gemeinsames Traumprojekt von Hitler und Riefenstahl“ (1) – trainierte Grzimek auf Bitte von Leni Riefenstahl Wölfe. Für den Film wurden über 100 Sinti und Roma zwangsrekrutiert und ein Großteil von ihnen anschließend in Auschwitz ermordet.

  • Seit 1942 war Grzimek im Vorstand der Gesellschaft für Tierpsychologie, die später aufgrund ihrer Nähe zur nationalsozialistischen Rassenlehre als politisch belastet galt.

  • Während seines Militärdienstes bei der Wehrmacht in Estland, unterstützte Grzimek die Versorgung von Zwangsarbeiter*innen im AEG-Werk in Riga. Sein Sohn sagte: „An das Werk ließ mein Vater durch seine Verbundenheit mit Herrn Fuchs [Josef Fuchs, Leiter des AEG-Werkes in Riga] das Fleisch der Schlachtpferde liefern – für die Arbeiter“ (2).

  • Es ist davon auszugehen, dass die Grzimeks um 1944 eine polnische Zwangsarbeiterin als Haushaltshilfe beschäftigten (3). Auf diese Art von „Unterstützung“ hatten vor allem kinderreiche Familien im Dritten Reich Anspruch, in der Praxis bemühten sich aber auch Personen in höheren NS-Positionen – wie Ministerialbeamte – darum.

Eugenik und Rassenlehre

  • Grzimek vertrat in einem erstmals 1974 veröffentlichten Buch die Auffassung, dass Menschen mit Behinderung eine Last für die Gesellschaft darstellen, und setzte sich für deren Unfruchtbarmachung ein: „So werden auch Kinder mit unterdurchschnittlichen oder gar schlechten erblichen Anlagen groß und vermehren sich, weitgehend auf Kosten und mit Hilfe der Allgemeinheit“ (4). Er vertrat explizit sozialdarwinistische Ansichten, um den Erhalt eines „Kulturvolkes“ zu gewährleisten.

  • Analysen von Grzimeks Arbeit zeigen, dass sich seine Auffassung von Menschen, insbesondere Indigenen, zeitlebens an rassischen Reinheitsidealen orientiert hat. In seinem Film „Kein Platz für wilde Tiere“ inszeniert Grzimek die Abweichung indigener Mbuti von vermeintlich „traditionellen“ Lebensweisen als eine Vertreibung aus dem Paradies, in dem sie bisher „zeitlos und ohne Geschichte [dahinlebten].“ Für Grzimek war ein Verlust „reiner“ bzw. „traditioneller“ indigener Lebensweise in diesem Sinne gleichbedeutend mit dem Verwirken aller Ansprüche in Naturschutzgebieten zu leben.

  • Er behauptete auch, dass ihre “promiskuitiven Gewohnheiten vor der Heirat” angeblich dazu führten, dass die Maasai ihre “Reinheit” verlören und die Natur in der ehemaligen deutschen Kolonie Tansania ruinierten.

  • Auch Grzimeks Fixierung auf „Überbevölkerung muss in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragt werden. Grzimek war fixiert auf „die afrikanische Fruchtbarkeit als größte Bedrohung für die globale Umwelt"(6).

  • Um seine Erzählungen zu „bereichern“, nutze Grzimek verzerrte Darstellungen von Indigenen: Fotos von Mbouti in europäischer Kleidung etwa lehnte Grzimek ab, bis sie einen Lendenschurz anzogen. Der Kameramann Alan Root beschrieb zudem die Entstehung einer Badeszene in Serengeti darf nicht sterben mit folgenden Worten: „Er wollte unbedingt eine Badeszene mit Nackten und schrieb mir immerzu, dass wir das unbedingt machen müssten … Er wollte einige Massai-Mädchen dafür haben … Massai hätten das nie gemacht… Aber es war gut für das Marketing des Films.“ (7) Letztendlich engagierte Root für die Filmszene Sexarbeiterinnen aus Nairobi, die im Film als Maasai auftreten.

Unabhängigkeit afrikanischer Staaten

  • In seinem Buch „Serengeti darf nicht sterben“ führt Grzimek 1959 mit Blick auf die Kolonisierung Afrikas aus: „Die Europäer haben diese Völker in manchen Gegenden jäh aus einem ausgeglichenen, primitiven Leben herausgeholt, in anderen Ländern haben sie sie von Sklaverei, brutalen Stammenskriegen, Hungersnöten und Seuchenelend erlöst.“ An anderer Stelle schreibt er: „Man mag über die letzten Auswirkungen des Kolonialismus manchmal geteilter Meinung sein, aber wenn man gerecht bleiben will, darf man auch nicht vergessen, was die Schwarzen vorher von ihren eigenen Herrschern durch Sklaverei, Ausbeutung, nie endende Kriege, durch Aberglauben und Kannibalismus zu erleiden hatten.“

  • Über die bevorstehende Unabhängigkeit des heutigen Tansanias schrieb Grzimek 1959 zudem: „Man kann aber nicht Menschenmassen, die zu 98% aus Schreibunkundigen bestehen, sich auf einmal demokratisch selbst regieren lassen“. Auch wenn Grzimek seine Ansichten zur Unabhängigkeit Tansanias später korrigierte, tat er dies nach Einschätzung von Expert*innen nur, weil er begrüßte, dass sich die neue Regierung gegenüber indigenen Maasai und lokalen Bewohner*innen von Naturschutzgebieten noch unnachgiebiger zeigte, als die vorausgehende britische Verwaltung.

Festungsnaturschutz

  • Grzimek ist als exemplarischer Vertreter des sogenannten „Festungsnaturschutzes“ anzusehen. Dies wird beispielsweise in seiner Sicht auf lokale Gemeinden in „Serengeti darf nicht sterben“ offenbar, die er als größtes Problem für den Artenschutz stigmatisiert: „[D]iese Massai mit ihren Herden sind überhaupt der Grund, warum wir fliegen lernen mussten, warum wir so weit von Frankfurt bis über den Äquator geflogen sind … Wegen der Massai soll der Nationalpark um ein gutes Drittel verkleinert werden…. Ein Nationalpark ist ein Stück Wildnis und soll es bleiben wie in Urzeiten. Menschen, auch eingeborene Menschen, sollen darin nicht leben.“ Diese Art des Naturschutzes gilt heute nicht nur als weniger effektiv als menschenrechtebasierte und inklusive Ansätze, sie ist auch  Ursache für schwere Menschenrechtsverletzungen.

  • Über seine Kontakte zu den Diktatoren Idi Amin – dem „Schlächter von Afrika“ – und Mobutu Sese Seko schreibt Grzimek 1974: „Ich möchte bemerken, dass ich als Naturschützer kein Urteil über eine Staatsform oder über die Politik solcher Männer ablege. Sie geht mich nichts an… Wir kämpfen um Dinge, die für die Menschen viel wichtiger sind als wechselnde Regierungsformen und Weltanschauungen.“ Mit dieser Ansicht verdeutlicht Grzimek die fragwürdige Einstellung, dass Naturschutz als „Globales Gut“ notfalls auch über Menschenrechten stehen muss.

  • Einige der von ihm vorangetriebenen Methoden, etwa Erfolgsprämien für Wildhüter*innen, gelten heute als ein Anreiz, der Misshandlungen der lokalen Bevölkerung und willkürliche Verhaftungen durch Ranger begünstigt. Sie werden auch als Beitrag zur Militarisierung von Konflikten um Ressourcen gesehen.

  • Unter Grzimek beteiligte sich die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) an „Umsiedlungsprogrammen“ in Tansania. Sie stellte finanzielle Mittel für mindestens einen Experten (Village Settlement Officer) für die Umsiedlung von Dörfern zur Verfügung, der die Einsatzkräfte der tansanischen Regierung und des Serengeti-Nationalparks koordinierte, um Personen zu vertreiben und ihre Häuser zu zerstören (9).

  • Der Film „Serengeti darf nicht sterben“ hat entscheidend dazu beigetragen, einen Mythos von Wildnis zu schaffen, der auf dem Ausschluss indigener Völker und lokaler Bewohner*innen basiert. Er wirkt damit bis heute als Grundlage für Umsiedlungen und Vertreibungen aus Naturschutzgebieten fort.

  • Auch wenn Grzimeks Einfluss nicht überbewertet werden sollte, muss festgestellt werden, dass „das Versäumnis, die indigene Führungsrolle [für den Erhalt der Artenvielfalt] anzuerkennen, vielleicht nirgendwo deutlicher wird als durch die tansanische Regierung in ihrer Behandlung der Maasai-Hirten“ (10). Damit ist das Lebenswerk von Bernhard Grzimek auch unübersehbar verknüpft mit einem Projekt, dass heute die Gesundheit, Rechte und die Zukunft der Maasai bedroht.

  • Yannick Ndoinyo, Aktivist und Angehöriger der Maasai aus Tansania, fasst es so zusammen: „Die größte Ursache der Ungerechtigkeit für indigene Gemeinschaften und lokale Gemeinden geht im Moment von den Naturschutzbehörden und geschützten Gebieten aus.“

  • Aus Grzimeks Publikationen wird deutlich, dass er Afrikaner*innen selbst ein Interesse an Naturschutz (Agency) größtenteils absprach: „Leider setzt die Aufklärungsarbeit bei den Afrikanern reichlich spät ein. Wir Europäer haben hier unendlich viel versäumt” (12). Für Grzimek war nur die Übernahme westlicher Naturschutzmodelle - etwa in Form von Nationalparks – konstituierend für Naturschutz. Der Tradition Grzimeks zu folgen, würde daher heute wiederum bedeuten, Naturschutz anhand von bestimmten Maßnahmen oder Konzepten zu begreifen, die andere lokale (und erfolgreichere) Ansätze ausschließen. 

 

Quellenverzeichnis

1 „Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos“, Michael Kloft, ZDF 2020
2 „Der Mann, der die Tiere liebte. Bernhard Grzimek“, Claudia Sewig, 2009, S.159
3 „In der letzten Kriegszeit lebte dort [in Grzimeks Haus im Allgäu] als Hausgehilfin auch eine junge Polin, die zwangsverpflichtet war.“ S.223 aus „Mein Leben: Erinnerungen des Tierforschers“, Bernhard Grzimek, Erweiterte Neuauflage der Autobiografie 2009, Piper Verlag; ähnlich auch Sewig, S. 164
4 „Ebenso habe ich Leni Riefenstahl gegenüber die Ansicht vertreten, dass es richtig ist, Menschen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Krankheiten und Missbildungen vererben, unfruchtbar zu machen. Auch hier ist in der Nazizeit mit einer, durchaus nicht von den Hitler-Leuten erfundenen Maßnahme grober Missbrauch getrieben worden…. Heute bemüht sich die Allgemeinheit, der Staat, mit Recht, jedes Menschenskind vor Mangel und Elend zu schützen. Die Allgemeinheit gibt den Kinderreichen Zuschüsse, zieht Kinder, um die sich asoziale Eltern nicht kümmern, in Heimen auf. So werden auch Kinder mit unterdurchschnittlichen oder gar schlechten erblichen Anlagen groß und vermehren sich, weitgehend auf Kosten und mit Hilfe der Allgemeinheit. Dadurch muss zwangsläufig im Laufe der Jahrhunderte die durchschnittliche Begabung eines Volkes zurückgehen. Dass der Anteil der weniger Gescheiten, weniger Tüchtigen so allmählich immer größer wird, ist nach meiner Überzeugung der biologische Hauptgrund für den Niedergang aller Kulturvölker in der Menschheitsgeschichte. Deswegen sollte man zwar jedem Menschenkind helfen und ihm die gleichen Möglichkeiten geben wie den anderen - aber man sollte verhindern, dass erblich belastete und benachteiligte Kinder immer wieder von neuem gezeugt und dann weitergehend auf Kosten der Allgemeinheit aufgezogen werden.” „Mein Leben: Erinnerungen des Tierforschers“, Bernhard Grzimek, Erweiterte Neuauflage der
Autobiografie 2009, Piper Verlag
5 Sewig, S. 353; „Serengeti darft nicht sterben“ Bernhard Gißibl und Johannes Paulmann in „Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte“, Jürgen Zimmerer (Hrsg), 2013
6 Our Gigantic Zoo“, Thomas Lekan, 2020, S.73
7 Sewig, S. 364
8 „Auf den Mensch gekommen“, Bernhard Grzimek, 1974, S. 438
9 „Die Mythen der Serengeti: Naturbilder, Naturpolitik und die Ambivalenz westlicher Um-Weltbürgerschaft in Ostafrika“,
Bernhard Gißibl, 2013, S.60
10 „The Looming Threat of Evictions”, The Oakland Institute, 2021, S.24
11 Im Oktober 2019 erklärten mehrere UN -Sonderberichterstatter*innen: “Seit 1959, als die Maasai zum ersten Mal von der Serengeti in die Gebiete Loliondo und Ngorongoro umgesiedelt wurden, haben Naturschutzprojekte und ausländische Investitionen zur Zwangsumsiedlung der Maasai in immer kleinere Gebiete innerhalb ihres natürlichen Lebensraums geführt, was ihre Anfälligkeit für Krankheiten und Unterernährung erhöht hat. ... Wir sind besorgt darüber, dass die jahrzehntelangen aufeinanderfolgenden Zwangsvertreibungen und Umsiedlungen, die Verkleinerung des Lebensraums der Maasai und der fehlende Schutz vor kommerziellen und privaten Interessen auf dem ihnen verbleibenden Land sich äußerst nachteilig auf die Erhaltung der Hirtenkultur der Maasai ausgewirkt haben und nun die Existenz dieses Volkes bedrohen.” https://spcommreports.ohchr.org/TMResultsBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=24872
12 “Wie steht es jetzt um die Nationalparke Afrikas,” Bernhard Grzimek, in Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur, 1961

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